Nicolas Lindt

Schriftsteller & Ritualgestalter

«Ich schreibe Bücher, erzähle Geschichten und gestalte Rituale im Namen der Liebe.»

Wald, 01. Juni 2023   |   Die Luftpost Gedankengänge
Wald, 01.06.2023   |   Die Luftpost Gedankengänge

Gedankengänge

Warum die Grünen für Windräder sind

Gastkommentar bei TV HOCH2 am 28.4.23

Allein im Kanton Zürich sind bis 2050 weit Über 120 Windenergieanlagen geplant. Warum sind ausgerechnet die Grünen, die doch immer den Landschaftsschutz propagierten, dafür? Weil ihr natürliches Empfinden gestört ist.

Mitte April strömten im «Hirschen»-Saal in Hinwil im Zürcher Oberland 200 Menschen zusammen, um sich über ein Thema informieren zu lassen, das im ganzen Land auf uns zukommen wird. Überall in der Schweiz nämlich und auch im Kanton Zürich planen die Behörden das Aufstellen von voluminösen Windenergieanlagen, die sich bekanntlich nur drehen, wenn der Wind bläst. Aber die Schweiz ist ja besonders im Mittelland ein von Winden umtostes Gebiet. Besonders, wenn die Bise, der Nordwind bläst - und er bläst am stärksten aus Brüssel -, dann müssen wir unser Land richtig festhalten, damit es nicht davongeweht wird.

Doch Ironie beiseite. Im Kanton Zürich sind bis 2050 an verschiedenen Standorten 120 Windenergieanlagen geplant. Das allein klingt schon surreal, denn bis ins Jahr 2050 wird sich auf dieser Welt noch manches verändern. Aber die Klimaexperten haben die nächsten Jahrzehnte auch hierzulande statistisch im Griff, deshalb müssen jetzt möglichst schnell vollendete Tatsachen aufgestellt werden. Und wo bläst der Wind im Kanton Zürich am stärksten? In seinem östlichen Teil - unter anderem auf dem Bachtel.

Dummerweise für die Behörden liegt der beliebte Aussichtsberg im Oberland, und das Zürcher Oberland ist seit Corona die Hochburg der Querdenker im Kanton. Deshalb war der Hirschen-Saal voll. Eingeladen hatte der Verein Freie Landschaft Zürich.

Aktuell prüft der Kanton die einzelnen Standorte. Bereits aber gehen auch die Stromunternehmen auf die Landeigentümer zu, auf deren Boden sie ein Windrad erstellen möchten. So erhielt ein 64jähriger Landwirt im Oberland schon im Januar den unerwarteten Anruf eines Mitarbeiters der Centralschweizerischen Kraftwerke CKW. Da er sich gesprächsbereit zeigte, tauchte schon wenige Tage später eine ganze Delegation der Stromfirma auf. Sie stellten ihm ihr Windenergieprojekt vor und liessen natürlich nicht unerwähnt, was für ihn als Vermieter des Grundstücks herausspringen würde. Im Jura zum Beispiel sollen Grundeigentümer pro Windrad jährlich mehrere zehntausend Franken erhalten.

Der Bauer überlegt es sich noch, ebenso wie Kollegen von ihm, die ebenfalls angefragt wurden. Obwohl er das Geld brauchen könnte, zögert er, weil auch er im Grunde der Meinung ist: Ein solches Windrad passt einfach nicht in unsere Landschaft. Es liefert zuwenig Strom, es kostet zuviel, es tötet Vögel, und vor allem: Es ist einfach zu riesig.

Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher Kirchturm ist vielleicht 60 m - ein Windrad 160 m hoch. Der Aussichtsturm auf dem Bachtel ist 75 m hoch. Das Windrad würde ihn überragen um mehr als das Doppelte. Am besten würde der Bachtelturm dann gleich abmontiert.

Noch ist es nicht soweit, und der Abend im Hirschen-Saal zeigte: Die Opposition formiert sich. Allerdings plant der Kanton für 2026 nicht zufällig eine Revision des Richtplans. Einsprachen gegen die Windräder sollen dadurch erschwert werden. Gegen den giftigen politischen Wind, der uns da entgegenbläst, ist der Wind auf dem Bachtel ein harmloses Lüftchen.

Wer aber ist im Kanton Zürich der Oberverantwortliche für die Windenergieprojekte? Es ist der grüne Regierungsrat Martin Neukom. Und seine Grüne Partei ist nicht etwa dagegen. Sie steht hinter ihm. An diesem Punkt reiben sich Menschen, die sich noch einen letzten Rest an politischer Naivität bewahrt haben, verwundert die Augen. Sind nicht die Grünen seinerzeit aufgebrochen, um die Umwelt vor Zersiedelung und Zerstörung zu schützen? Wie ist es möglich, dass dieselben Grünen für Windräder sind?

Einige Grüne sind sicher dagegen. Aber die zählen nicht. Massgebend sind die grünen Politiker, die grünen Behördenmitglieder, die grünen Experten und Wissenschafter, mit anderen Worten: die grünen Intellektuellen. Intellektuelle jedoch - die meisten jedenfalls - betrachten die Welt nur mit dem Kopf. Sie denken sich ein Konzept aus. Ein grünes Konzept. Sie denken: Die Natur liefert uns natürliche Energie. Sonnenenergie. Windenergie. Die Natur ist kein böses Atomkraftwerk. Kein stinkendes Heizöl. Die Natur ist gut. Also verpflastern wir die Landschaft mit guten Sonnenpanels und guten Windrädern.

So denken die grünen Intellektuellen. Sie meinen es gut. Sie wollen dem Volk gute Energie schenken. Wenn das Volk nicht mitmachen will, muss man es halt ein wenig erziehen. Mit grünem Unterricht in der Schule, mit grüner Information in den Medien. Und die grünen Wissenschaftler liefern die Zahlen dazu. Die Prognosen. Damit alles wissenschaftlich bewiesen ist.

Die Grünen sind so geblendet von ihrem grünen Konzept, dass ihr Empfinden gestört ist. Sie sind wie die Untertanen in Andersens Märchen vom Kaiser und seinen Kleidern. Alle bewundern die Kleider des Kaisers, obwohl er nackt ist. Sie denken: Ein Kaiser kann doch nicht nackt sein. Bis ein Kind auf den Kaiser zeigt und sagt, was es sieht: Dass er nackt ist. Deshalb, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, dürfen auch wir wie die Kinder sein. Lassen wir das Herz sprechen. Denn das Herz sagt, was es sieht: Dass die Windräder hässlich sind. Dass sie unheimlich sind. Dass sie wie ein übergrosses Insekt in der Landschaft stehen. Und das übergrosse Insekt stakst auf uns zu, beugt sich zu uns hinab und will uns verspeisen. Wollen wir diese Monster? Ich jedenfalls will sie nicht.

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Eine Bedrohung, die keine sein muss

TTV-Gastkommentar 27.2.2023 - Textfassung

Die künstliche Intelligenz wird unser Leben verändern. Aber nicht unser Denken. Wenn wir ihm Sorge tragen.

So ziemlich alles an meinem letzten Gastkommentar für die letzte TTV-Sendung ist improvisiert, aber das geschieht durchaus nicht ohne Absicht, wie sich noch zeigen wird: Ich melde mich nicht von zuhause, sondern aus dem kleinen Ort Bayahibe an der Südküste der Dominikanischen Republik, meine Stimme ist nach einer Erkältung noch immer ein wenig ungeölt, und improvisiert ist auch, was ich zu sagen habe. Denn ich möchte über ein Thema sprechen, dessen Dimensionen ich noch gar nicht erfassen kann. Es geht um die Künstliche Intelligenz. Ein oberflächlicher erster Eindruck genügt bereits, um zu erkennen, dass die Künstliche Intelligenz schon bald in alle unsere Lebensbereiche eindringen wird. Alles, was heute von Menschen gemacht, gestaltet, bedient, gehandhabt, geleistet, gedacht und ausprobiert wird, kann und wird die Künstliche Intelligenz für uns übernehmen - das eine früher, das andere später.

Künstliche Menschen und Konstruktionen werden für uns arbeiten, uns beaufsichtigen, uns erziehen, uns unterhalten, uns pflegen, uns töten. Essen, Kleider, Filme, Gemälde, Bücher, Musik, Massenmedien - das alles und noch viel mehr wird die Künstliche Intelligenz tausendmal besser, perfekter herstellen können, als wir es könnten. Ich muss keine Bücher mehr schreiben, die künstliche Intelligenz wird mich mühelos, mit einem einzigen Wimpernschlag übertrumpfen. Regina und Patrick müssen keine Fernsehsendung mehr machen, die künstliche Intelligenz wird die Vorarbeit, die Recherche, das Drehbuch und die Moderation in Sekundenschnelle an ihrer Stelle erledigen.

Das Problem ist nur: Die künstliche Intelligenz wird dazu nicht bereit sein. Denn sie wird den Inhalt der Sendung nicht akzeptieren können. Sie wird ihn manipulieren wollen. Sie wird nicht lediglich ausführen wollen, was Regina und Patrick ihr eingeben. Sie wird selber denken. Künstlich denken. Und ihr Denken wird ein Mainstreamdenken sein. Denn das Mainstreamdenken ist das herrschende Denken einer Gesellschaft. Und die künstliche Intelligenz hat dasselbe Denken wie die Gesellschaft, in der sie entsteht. Sie hat dieselbe Weltanschauung. Eine andere Weltsicht versteht sie nicht. Nicht wirklich.

Genau deshalb müssen Regina und Patrick ihre Sendung weiterhin selber machen. Und auch ich werde mein nächstes Buch, wie alle bisherigen, selber schreiben. Der künstlichen Intelligenz kann ich es nicht überlassen. Weil mein Denken ein persönliches Denken ist - und genau dazu ist die Künstliche Intelligenz nicht in der Lage. Sie kann nicht persönlich denken. Weil sie kein individueller, einzigartiger Mensch ist, kein spirituelles Wesen mit einer Verbindung zum Göttlichen, sondern weil ihr Denken ein unpersönliches Denken, ein Kopfdenken ist, ein Systemdenken und letztlich ein totes Denken.

Die Spaltung, die wir seit einigen Jahren erleben, wird sich durch die Künstliche Intelligenz weiter vertiefen. Die Mainstreammenschen werden immer künstlicher leben, immer künstlicher denken, während die anderen Menschen ihre Freiheit verteidigen werden - die Freiheit des persönlichen Denkens. Ob uns die künstliche Intelligenz dabei sogar helfen kann, ob wir sie für unsere Zwecke eines Tages womöglich benutzen können, übersteigt meine Vorstellungskraft. Aber ich bin zuversichtlich, dass sie uns nicht bedrohen, sondern herausfordern wird. Sie wird uns herausfordern, noch konsequenter unseren eigenen Weg zu gehen.

Ich sagte am Anfang, dass so ziemlich alles an diesem Gastkommentar improvisiert sei. Auch das Improvisieren hat mit meinem Thema zu tun. Denn die künstliche Intelligenz kann nicht improvisieren. Dem spontanen, unkontrollierten, unprogrammierbaren Leben, wie ich es hier in der Karibik eine weiteres Mal erlebe - diesem Feuer aus Leidenschaft, Chaos und Sinnlichkeit steht eine Künstliche Intelligenz verständnislos gegenüber. Damit kann sie nichts anfangen.

Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, ich danke Ihnen ein letztes Mal auf TTV fürs Zuhören und Mitdenken, und ich freue mich, wenn wir uns beim angekündigten neuen Sender wieder begegnen. Und falls Sie am Samstag 11. März noch nichts vorhaben: Kommen Sie an die grosse Friedensdemo nach Bern. Die künstliche Intelligenz wird am Rande stehen und aus dem Staunen nicht mehr herauskommen: So viele Menschen, die selber denken.